Im Hutladen
- michaelsienhold
- 1. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Die folgenden vier Zeilen sind ein Auszug aus dem gleichnamigen komischen Dialog zwischen Liesl Karlstadt und Karl Valentin. Sie gibt die Verkäuferin, er den Kunden. Diese Sequenz ist symptomatisch für den ganzen Dialog.
…
Karlstadt: Also nun müssen Sie sich aber bald entschließen, was Sie für einen Hut wollen.
Valentin: Einen neuen Hut.
Karlstadt: Ja wir ham ja nur neue.
Valentin: Ich will ja einen neuen.
…
Die Grundstruktur dieser Sequenz ist es, dass Valentin logisch anschlussfähig auf die explizit gemeinten Bedeutungen von Karlstadts Äußerungen antwortet, seine Antworten aber nicht den Sinn erfüllen, dessen Erfüllung Karlstadt mit ihnen zu initiieren versucht. Sie versucht zu initiieren, dass Valentin eine Huteigenschaft nennt, die nicht alle angebotenen Hüte haben, um sie einer Kaufentscheidung näher zu bringen. Sie ist das Ziel ihres Handelns.
Es zu verfolgen, ist legitim, weil Karlstadt eine Verkäuferin in einem Hutgeschäft ist und es betretende Kunden in der Regel zu Recht als im Wissen darum zu behandeln sind, dass von ihnen zu erwarten ist, einer Kaufentscheidung dienlich zu handeln, wenn sie ein Gespräch mit ihr eingehen und nicht sagen, sich nur umschauen zu wollen. Ein Gespräch mit ihr geht Valentin gleich nach seinem Ladeneintritt ein.
Mit seiner ersten Antwort, einen neuen Hut zu wollen, beschränkt er sich noch darauf, Karlstadt die Erfüllung ihres Versuchs zu verwehren, ihr eine Huteigenschaft zu nennen, die nicht alle Hüte haben, um einer Kaufentscheidung näher zu kommen. In seiner zweiten Antwort ich will ja einen erzeugt er zudem eine Fiktion darüber, was Karlstadt mit ihrer zweiten Äußerung ja wir ham ja nur neue tat.
Mit ihr gab sie Valentin ein berechtigtes Widerwort. Mit ihr beanspruchte sie nämlich, dass das Gegenteil dessen der Fall wäre, was der Fall sei, wenn seine Antwort adäquat gewesen wäre. Konkret beansprucht sie, dass es auch gebrauchte und nicht nur neue Hüte im Laden geben würde, wenn seine Antwort, einen neuen zu wollen, adäquat gewesen wäre. Dann hätte sie nämlich den Sinn erfüllen können, den Karlstadt sie erfüllen zu lassen versuchte. Dann hätte sie sie einer Kaufentscheidung näherbringen können. Da Karlstadt aufgrund des Kontexts der Verkaufssituation legitimerweise beansprucht, dass Valentins Antwort diesen Sinn erfüllen zu können hat, erwidert sie zu Recht damit, darauf hinzuweisen, nur neue Hüte zu haben, weil dessen Tatsächlichkeit ausschließt, dass Valentins Antwort diesen Sinn erfüllen konnte.
Valentin wäre nicht Valentin, wenn er nun anerkennen würde, dass diese Erwiderung von Karlstadt berechtigt war. Stattdessen suggeriert er mit seiner zweiten Äußerung ja einen neuen zu wollen, dass sie ihn in seinem von ihm zu habend bekundeten Wunsch mit ihrer Äußerung ja nur neue Hüte zu haben zu enttäuschen gemeint hätte. Als hätte sie damit nicht die mangelnde Sinnhaftigkeit seiner Aussage offenbart, sondern die Vorstellung zum Ausdruck gebracht, er wolle keinen neuen.
Karlstadt das zu attestieren, ist nun besonders widersinnig, weil Valentin unmittelbar davor einen neuen Hut zu wollen bekundet hat, worüber er sie nun gemeint zu haben suggeriert, dass er einen solchen nicht wolle. Damit diskreditiert er sie, stellt er so doch in den Raum, dass sie ihm nicht zugehört habe oder seine Wunschbekundung nicht für die Tatsächlichkeit des Bekundeten sprechend anerkenne. Letzteres ist ein massiver Vorwurf, weil wir es zumeist als dem Vorwurf der Lüge gleichkommend beurteilen, zu beanspruchen, dass eine Wunschbekundung in der ersten Person nicht für ihre Wahrheit spreche. Wir müssen doch wissen, was wir wollen, sodass wir wissen, das Gegenteil dessen zu wollen zu behaupten, was wir wollen, wenn wir etwas zu wollen behaupten, was wir nicht wollen.
Valentin erkennt die Erfüllungswürdigkeit des Sinns nicht an, auf dessen Nichterfüllung ihn Karlstadt hinweist. Er hätte sie z. B. dadurch anerkennen können zu sagen, bis vor ihrer zweiten Äußerung ja nur neue Hüte zu haben noch fälschlich geglaubt zu haben, dass sie auch gebrauchte verkaufe. Dann hätte er seine Erfüllungswürdigkeit qua dessen anerkannt, seine Nichterfüllung zu begründen. Schließlich zeigt die Begründung von etwas in der Regel den normativen Bindungsanspruch an dessen Gegenteil.
Dann hätte er sich aber fast schon selbst dazu verpflichtet, von nun an auf eine Weise zu handeln, von der man berechtigt glauben kann, dass sie diesen Sinn erfülle. Er könnte zwar auch dann weitere Falschglauben über das Hutangebot zu haben behaupten, mit denen er wieder begründen könnte, warum er mit weiteren Antworten, die diesen Sinn nicht erfüllten, ihn zu erfüllen glaubte. Aber er käme dann nicht mehr daran vorbei, anzuerkennen, dass sie diesen Sinn zu erfüllen haben. Und genau das tut er nicht.
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